Color Line Magazin / 14.03.2022 / Cornelia & Sirko Trentsch
Es ist der 17. Mai – ein herrlich sonniger Frühlingstag in Oslo. Doch das satte Grün in den Parkanlagen der norwegischen Hauptstadt hat an diesem Tag nicht die geringste Chance, sich gegen das übermächtige rot-weiß-blaue Farbenmeer auf den Straßen durchzusetzen. Die Nationalfarben des nordeuropäischen Königreiches sind einfach omnipräsent – auf tausenden Fahnen, Wimpeln, Tüchern, Hüten, T-Shirts und sogar auf Krawatten oder Haarspangen strahlen sie intensiv im warmen Licht der Frühlingssonne und prägen an diesem Tag das Straßenbild der Metropole am Oslofjord.
Gratulerer med dagen
Alle Einwohner scheinen heute auf den Beinen zu sein. „Gratulerer med dagen“ rufen sie sich zu, während sie festlich gekleidet durch die Stadt eilen – auf dem Weg zu einem der traditionellen Umzüge, die an diesem Tag nicht nur in Oslo, sondern im ganzen Land, ja in jedem Dorf stattfinden. Denn heute, am 17. Mai, wird der Tag der Verfassung, der norwegische Nationalfeiertag, gefeiert und das ganze Land ist außer Rand und Band. Eine unnachahmliche Mischung aus traditioneller Folklore und purer Lebensfreude schafft dabei eine festliche Atmosphäre, der man sich kaum entziehen kann und deren Eindrücke als unvergessliche Erlebnisse fortleben.
Wir wollten diesen so besonderen Nationalfeiertag einmal persönlich erleben und so machten wir uns auf den Weg nach Oslo, genauer gesagt, zum königlichen Schloss, wo alljährlich die Königsfamilie stundenlang den rund 60.000 (!) Kindern zuwinkt, die im größten Umzug des Landes durch die Hauptstadt ziehen.
Ein unvergessliches Erlebnis
Bereits im ersten Zwielicht der Morgendämmerung klingelt unser Wecker. Vollkommen unnütz, denn wie soll man an sooo einem Tag auch schlafen können…? Wir sind viel zu aufgeregt und daher nur kurze Zeit später schon auf dem Weg zur U-Bahn, die uns vom Campingplatz „Bogstad Camping“ ins Zentrum von Oslo bringen soll. In der zunächst naiven Annahme, dass wir um diese Zeit wohl allein in der Stadt unterwegs sind, trauen wir unseren Augen kaum: Aus jeder weiteren Nebenstraße, jedem Hauseingang, jedem noch so abgelegenen Grundstück strömten immer mehr festlich gekleidete Menschen ebenfalls in Richtung Bahnhof. Gesang und Lachen sind zu hören – gute Laune pur, ansteckend und wunderbar.
So wird bereits die Fahrt mit der Bahn zu einem ersten unvergesslichen Erlebnis – unglaublich, aber wahr. Auf diese Weise erreichen wir unser Ziel, die Station „Nationaltheater“, unweit vom königlichen Schloss. Als wir den Bahnhof verlassen, fehlen uns abermals die Worte: Ein schier unendliches Meer an norwegischen Fahnen ziert die Prachtstraßen der Innenstadt, die sich für diesen Tag offenbar ganz besonders herausgeputzt hat. Auf dem kurzen Fußweg bis zum Schloss genießen wir dieses einzigartige Flair und stehen schließlich inmitten tausender Norweger am Rand der Absperrung, wo schon bald die Königliche Garde den legendären Umzug der Kinder aus den Schulen von Oslo anführen wird.
Hip Hip Hurra
Welche Schule wird direkt hinter der Garde gehen? Diese Frage beschäftigt die Norweger alljährlich in einer für uns nur schwer vorstellbaren Weise. Die Reihenfolge der Schulen im jährlichen Umzug wird jedes Jahr neu bestimmt und das Ergebnis der Entscheidung des Festkomitees mit großer Spannung erwartet. Doch bevor sich alle Blicke auf die Straße richten, bricht frenetischer Jubel aus: „Hipp, hipp hurra“ tönt es aus allen Richtungen. Die königliche Familie hat den Balkon ihres Schlosses betreten und wird mit riesiger Freude begrüßt.
...Gänsehaut…
Perfekt darauf abgestimmt, sind aus der Ferne die ersten Spielmannszüge zu hören und in dem Moment laufen schon die ersten Kinder und Jugendlichen in ihren Trachten an uns vorbei, um der Königsfamilie zu winken. Eine Schule nach der anderen; Kinder, Jugendliche, Spielmannszüge, Sportmannschaften, Vereine – sie alle sind dabei und haben sich für diesen Umzug etwas Besonderes einfallen lassen. Rund drei Stunden genießen wir dieses unvergleichliche Festival der Lebensfreude und Zuversicht. Immer öfter ertappen wir uns dabei, dass wir in die Endlosschleife der „Hipp, hipp hurra“-Rufe mit einstimmen, mitgerissen und zugleich ergriffen. Ein fantastisches Erlebnis.
Ja, vi elsker dette landet
Plötzlich wird es ganz still, der Umzug scheint beendet. In diesem Augenblick sind die ersten Töne der norwegischen Nationalhymne zu hören. Und dann stehen wir inmitten eines riesigen Chores aus unzähligen Norwegern. Alle um uns herum singen gemeinsam mit „ihrer“ Königsfamilie die norwegische Nationalhymne. Spätestens in diesem Moment fühlt man sich im Herzen all diesen Menschen verbunden und so unheimlich nah, eben mittendrin statt nur dabei.
Nach dem Umzug verteilen sich die vielen Menschen in den Restaurants und Cafés oder zum Picknick in den Parkanlagen. Keiner will oder wird jetzt nachhause gehen. Man hört allerorten Musik und Lachen, im Hafen vermischt sich die frische Brise der See mit dem verführerischen Duft von Gegrilltem und alle genießen - oft ganz in Familie und mit Freunden - ausgelassen den perfekten Feiertag. Für die Kinder gibt es traditionell Eis und Würstchen, die teilweise sogar kostenlos verteilt werden. Wir bummeln fast den ganzen Nachmittag die lange Promenade am Fjordufer entlang, saugen diese Bilder förmlich auf und könnten dem Treiben so noch stundenlang zuschauen.
Farbenmeer von Emotionen
Als die Sonne bereits etwas tiefer steht und das Licht wärmer wird, fahren viele Einheimische mit ihren Booten hinaus auf den Oslofjord und in die Schären vor der Küste der Stadt. Wir gehen ebenfalls an Bord: Auf einem historischen Holzsegelschiff steuern wir dem Sonnenuntergang entgegen und genießen dabei leckere Garnelen. Auf den Schären brennen die ersten Lagerfeuer, einige Gitarrenakkorde sind aus der Ferne zu hören und im orangefarbenen Leuchten der untergehenden Sonne kehrt eine ganz besondere Ruhe ein – während wir über das metallisch schimmernde Wasser des Fjords gleiten. So geht ein langer, unvergesslicher Frühlingstag zu Ende, den wir sicherlich nicht das letzte Mal in Oslo verbracht haben. Ein Tag voller Freude und großer Gefühle – eingetaucht in ein Farbenmeer voller Emotionen.
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Conny, Sirko & der Nordlandblog
Nachdem Conny & Sirko ihre Bürojobs an den Nagel gehangen haben, sind sie nunmehr mit ihrem Kastenwagen fast ganzjährig in Nordeuropa unterwegs und recherchieren auf ihren Touren die Inhalte für den NORDLANDBLOG. Bereits 2010 haben sie sich unsterblich in den Norden verliebt und können seitdem ihr ständiges Fernweh nur mit neuen Reisen und Entdeckungen in Skandinavien stillen. Sie lieben das nordische „Friluftsliv“ (Freiluftleben), sind ständig auf Tour und sammeln dabei viele wertvolle Tipps, beeindruckende Impressionen und wichtige Informationen für ihre Leser.
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